Auf der Suche nach den Schnittmengen zwischen Kunst und Natur stieß ich auf den Begriff der Verschwendung. Definiert als „unnötiger, sinnloser Verbrauch von etwas“ (Duden und Wiktionary), ist er negativ konnotiert: Das macht man nicht!
Gleichzeitig ist aber der verschwenderische Aspekt der Natur, vornehmlich bei der Vermehrung einer Art und der Breite der Artenvielfalt immer wieder Anlass unserer Bewunderung. Wie macht „die Natur“, und ich gebrauche den Begriff hier in dem Sinne, dass es ihn nicht absolut gibt, sondern nur als meine bzw. Ihre Vorstellung, wie also macht sie das und warum?
Wäre es nicht mit viel weniger Leid verbunden, statt Tausender kleiner Schildkröten, die unterm Sand schlüpfen, um alsbald auf ihrem Weg ins Wasser von Krabben und Möwen erbeutet zu werden, nur zehn schlüpfen zu lassen, die aber stahlhart sind und auf jeden Fall überleben?
Und würde es nicht genügen, statt 1000 Arten von Kohlweißlingen weltweit, zehn zu entwickeln, die einfach einige Eigenschaften mehr haben und in der Breite besser zurechtkommen als in der Nische?
Und warum finden wir diese Verschwendung beeindruckend, ist es ein rein ästhetischer Eindruck von Fülle und Varianz, der unsere Bewunderung erringt?
Unter Menschen gilt: Wer verschwenden kann, der hat, viel mehr, als wir es ahnen. Was für materiellen Reichtum gilt, ist bezüglich der Natur aber ein Missverständnis. Ihr „Reichtum“, den wir als Begriff durchaus kennen, ist eine besondere Form der Zweckmäßigkeit. Wir kennen nur den Zweck nicht. „Arterhaltung!“, kommt mir in den Sinn aber da stimmt etwas nicht, denn auch „die Natur“ ließ Arten, ganze Welten, aussterben, bevor der Mensch ihr dabei zu Hilfe kam. Täglich sterben Arten aus, es entwickeln sich aber auch neue bzw. vorhandene Arten entwickeln neue Eigenschaften, sie lernen. Und dafür braucht es, nach aktuellem Stand der Wissenschaft, keine langwierigen evolutionären Abläufe, sondern es gelingt, Fähigkeiten und Kenntnisse innerhalb von Arten per Anpassung und per Genetik von einer an die folgende Generation weiterzugeben, Epigenetik ist das Stichwort.
Veränderung
Das ist der Punkt, um sich endgültig von der Idee zu verabschieden, dass es in unserer Umwelt „Zustände“ gibt, die es zu „erhalten“ gilt oder die wir gezielt verändern könnten, etwa, indem wir einen Zustand wieder herstellen. Alles passt sich fortwährend aneinander an und ist im Fluss. Doch Veränderung macht uns Angst, wir Menschen wissen gerne, dass wir morgen alles noch genau so vorfinden, wie wir es verlassen haben, jedenfalls bezüglich der Zustände, die für uns wichtig sind. Unser mechanistisches wenn-dann-Weltbild hat uns nicht das Vertrauen in unsere eigene Wandelbarkeit gegeben, sondern einzig den Fetisch des Gleichgewichts. Wenn ich da noch ein bisschen drauflege, dann geht es dort ein Stückchen runter, und soll es runtergehen, so ist das Drauflegen alternativlos.
Ich beobachte, dass „im Westen“ die Menschen derzeit daran glauben, dass sie sich leider nicht ändern können, sondern dass sie technische Neuerungen entwickeln müssen (und werden), welche die Schäden, die wir alle durch unsere unveränderliche zerstörerische Natur anrichten, reparieren.
„I welcome what happens next.“ John Cage gab 1981 nicht etwa seinem Schicksalsglauben Ausdruck, sondern der Haltung, dass er sich als Teil des Geschehens sieht. Er wird dabei sein, er wird in der Lage sein, zu erleben, er wird eine Spur hinterlassen, die ihrerseits wieder Neues geschehen lässt. Repariert werden kann da nichts, muss es auch nicht. Und jetzt sind wir bei der Kunst.
Die Kunst der Verschwendung
Was der Kunst – in Analogie zur Natur nur als „meine / Ihre“ Kunst zu verstehen – alles zugeschrieben wird an Aufgaben und Wirkungen, ist grotesk. Zwischen Gesellschaftskitt im Inneren und Softpower im Außen ist alles drin:
https://www.deutschlandfunk.de/kulturpolitik-im-wandel-100.html
Aber anscheinend braucht es diese Zuschreibungen, um die Existenz von Kunst festzustellen und zu rechtfertigen. Denn sonst wäre sie ja reine Verschwendung. Vielfalt als reine Artenvielfalt für Nischen, wandelbar und nicht in einem bestimmten Zustand zu erhalten, würde eine „kulturelle Identität“, gar eine „Kulturnation“ samt Museen und anderer kanonisierender Institutionen ausschließen.
Doch so funktioniert Kunst: I welcome what happens next. Ich betrete den künstlerischen Prozess nicht wie einen abgegrenzten Raum, sondern er umspült mich – was nicht heißt, dass meine künstlerische Äußerung nicht konkret und über sich selbst hinausweisend sein kann. Eine aufmerksame Rezeption geht genauso vonstatten, wahrscheinlich jedes intensive Erleben. Verschwenderisch, weil zweckfrei und vielfältig.
Am Wegesrand liegen bleiben die Kokons der Ideen aus vergangenen Zeiten, und das durchaus nicht ohne Nutzen. Vor uns liegen die unvorhersehbaren Wandlungen, deren Teil wir sein können. Im Kunstwerk, das per se nicht ausdeutet, sondern andeutet, werden die Wandlungen als Momentaufnahmen sichtbar. Keine Bilanzen, keine Prophezeihungen, nur meine / Ihre Vorstellungen (entstanden durch unsere Biografien und Interessen), die sich auf der Folie des Sichtbaren entfalten. Gute Aussichten!
Was für ein schöner Gedankenanstoß, liebe Ellen. Deine Argumente schaffen gute Aussichten 😉