Puh – was für ein Jahr. Ja, welches denn? Ich meine dieses zurückliegende Jahr, das im Februar 2015 begann. Zumindest fühlt es sich so an, als ob ich mein erstes Jahr am Landesmuseum Mainz gerade hinter mir hätte, und nicht schon das zweite. Ich habe wahrscheinlich alle Fehler gemacht, die man als Berufsanfängerin so machen kann und bin dieser Phase auch sicher noch nicht entronnen. Nur hat die Waage sich jetzt von Stress zu Spaß geneigt. Was das in einem Blog über Kunst zu suchen hat?
Nein, Sie brauchen das nicht zu teilen, wenn Sie wissen, woher dieses Zitat stammt. Neben meinen Lieblingszitat von Karl Valentin, welches über diesem Blog steht, und einem Spruch von Hermann Hesse „Damit das Mögliche geschieht, muss immer wieder das Unmögliche versucht werden.“, hat das ziemlich viel mit Kunst zu tun, so wie ich sie sehe . Mit meinem Eintritt in die Museumswelt haben sich für mich mehrere neue Sichtweisen auf Kunst ergeben: Als Betrachterin, also Konsumentin, die uneingeschränkten Zugang zu Kunst hat, jeden Tag – Luxus! Als Museums- und Ausstellungsbesucherin mit professionellem Hintergrund. Als Kunstpädagogin außerhalb von Schule. Als Künstlerin mit permanenter Vergleichsmöglichkeit. Als Laie unter Profis, was Kunstgeschichte angeht. Als Profi unter Laien, was Pädagogik angeht. Und für alle diese Blickwinkel gilt:“Mühe allein genügt nicht“ (Ironiedetektor bitte aktivieren). Das hat nichts mit den sogenannten Sachzwängen zu tun, sondern mit der Einzigartigkeit von Kunst. Was sie sagt, ist in keinem anderen Medium so zu sagen.
Kunst ist …
„Alles ist Kunst – alles ist Politik“, sagt Ai Wei Wei. Zuletzt sah ich seine Ausstellung „translocation – transformation“ im 21er Haus Wien. Ich bin ein Fan von seinen Werken einerseits und seiner Person andererseits. Ja, mit allen seinen Macken, schließlich habe ich auch welche. Ich interpretiere sein Zitat so, dass Kunst sich nicht darauf zurückziehen kann, „einfach nur Kunst“ zu sein. Oder doch? Im Wiener Belvedere traf ich neben den Figuren von Ai Wei Wei auf ein Werk von Yan Pei-Ming, und dachte: „Ah, so stellt man also Position neben Position“. Ein Zigarre rauchender Malerfürst gibt dem Kunstmarkt, was er braucht, an Selbstbild und Sujets – und Ai Wei Wei verpackt subversive Botschaften unter anderem in kunsthandwerkliche Meisterleistungen. Dieses Zusammentreffen diametral gegenüber liegender Kustauffassungen zweier Künstler aus China hat mich doch sehr bewegt. Nur liegt das wahrscheinlich nicht in der Intention der Kuratoren. In China findet für den europäischen Kunsthistoriker gar keine Kunst statt – ich bitte um Entschuldigung für diesen fiesen Allgemeinplatz. Mit meinen sehr bescheidenen China-Erfahrungen aus meinen beiden Reisen (1991 und 99) entwickelte sich eine große Hochachtung vor und Liebe zur chinesischen Kultur, die unverbunden neben dem Wissen stehen, dass China derzeit die meisten Hinrichtungen pro Jahr vollstrecken lässt, ein zensiertes Internet hat und Tibets Kultur zerstört. Auch hier drängt sich Ai Wei Wei hinein, der mir bei einem persönlichen Treffen vermutlich genau diese merkwürdige Diskrepanz um die Ohren hauen würde – oder gerade nicht? Handelt er nicht aus Liebe zu China, genauer, zu den chinesischen Menschen?
Kunst ist auch …
Ganz anderer Schauplatz: London, artcatcher Katja Rosenberg, diverse Plätze für „Kunst für alle“. Über mein großes Glück, gelegentlich an ihren Projekten teilnehmen zu können, habe ich schon gschrieben. Katja versieht ihre themengebundenen Gruppenausstellungen immer mit einem reichen Programm an Workshops. Mit „Traditions“ hat sie es geschafft, auch noch ein Festival einzubinden. Es geht darum, Besucher dazu einzuladen, Persönliches mit der Kunst zu verbinden, beim Thema „Traditionen“ nahe liegend. Für manchen mag das keine Kunst sein, und in Deutschland ist mir so ein Ansatz auch noch nie begegnet, weder bei einem Museum, noch bei einer Galerie, noch bei irgendeiner Ausstellung eines Kunstvereins o.Ä. Hierzulande wird bewundert, verrissen und gekauft – oder auch nicht. Das sind die Beziehungen, die man zur Kunst aufnimmt, eigene manuelle Tätigkeit ist nicht erwünscht. Die riecht nach Volkshochschule, verlässt in jedem Fall die Hochkultur und den scheinbar objektiven Standpunkt der Kunstgeschichte und hat mit ernst zu nehmenden Ausstellungen nichts zu tun. Liegt es an London, dass diese beiden parallelen Ansätze (Ai Wei Wei in der Royal Academie, Katja Rosenberg im Mile End Art Pavillion) existieren UND von jeder Menge Publikum gewürdigt werden?
Wen interessiert das?
Jetzt nähern wir uns meinem beruflichen Horizont. Wen interessiert Kunst? Meine eigenen Erfahrungen als ausstellende Künstlerin, als Vermittlerin von Ausstellungen an einem mittelgroßen Museum und als Besucherin von Ausstellungen haben im besagten „Jahr“ intensiv miteinander im Streit gelegen und mich ganz durcheinander gebracht. Ein Fazit gibt es nicht, aber einige Entschlüsse. Ich werde als Museumspädagogin versuchen, Besucher so weit wie möglich aktiv an Ausstellungen teilnehmen zu lassen. Ich werde als ausstellende Künstlerin dasselbe versuchen, und da habe ich auch die Möglichkeit, den Besucher von Anfang an mitzudenken. (Das heißt im Übrigen nicht, dass man schon beim Machen ans Ausstellen denkt … ein weites Feld.) Im Offenen Atelier 2017 geht es los. Ich werde weiterhin an Katja Rosenbergs Projekten teilnehmen. Und ich werde versuchen, ein Projekt aufzuziehen, das es Menschen mit geringem Einkommen ermöglicht, an Kulturveranstaltunegn teilzunehmen. Das dauert noch ein bisschen, steht aber fest. Denn ich bin davon überzeugt, dass Kunst eigentlich … jeden interessiert, dem wir nicht den Eindruck vermittelt haben (und da nehme ich mich als Vertreterin einer großen Institution nicht aus), er sei zu blöd dafür oder gehöre hier nicht hin. Da bin ich dann auch bei „Touchdown“, einer bemerkenswerten Ausstellung, die in der Bundeskunsthalle in Bonn zu sehen ist. Menschlicher Ausdruck in Kunstwerken berührt uns (nicht jeden alles, aber irgendwas), und das gilt auch für den Christus von Pei-Ming (der mich persönlich in seinem Pathos zum Lachen reizt, aber nicht ungerührt lässt). Die Zusammenhänge mögen in jedwedes Licht getaucht sein und uns vor unserem Berührtsein erschrecken lassen. Ist es ein Kriterium totalitärer Kunst, dass sie nicht rührt? Das wüsste ich gerne mal, ich möchte es annehmen.
Dieser und anderen Fragen werde ich im nun folgenden Jahr nachgehen, und jetzt setzt die ordentliche Zeitrechnung wieder ein.
Liebe Ellen,
Du bist eine wunderbare Kuratorin, weil Du „mit allen Wassern gewaschen“ bist, aus Erfahrung jeden Blickwinkel empathisch einnehmen und vermitteln kannst. Du weckst Neugierde, und ich lerne bei Dir immer wieder dazu.
Deine Verlinkungen sind ein sehr guter Leitfaden 🙂
Liebe Grüße
Evy