Ganz großes Kino

Ab und zu gönnen Martin und ich uns einen Tag in Frankfurt. Wir frühstücken gemütlich, klappern unsere Lieblingsläden ab (Applestore / Secondhandshop) und dann gibt es Kultur. Oft im Museum für Kommunikation, diesmal aber im Liebighaus bei William Kentridge. Warum die Cafetiera als Plakatmotiv herhalten musste, weiß nur der Kurator. Es sei ihm verziehen, denn …

Kentridge bringt die Dinge zum Sprechen

Schon in Salzburg waren wir beide begeistert von Kentridges Video-Installationen. Jetzt treten seine Zeichnungen, Skulpturen, aus Papier gerissenen Figuren und Filme in Dialog mit den Skulpturen im Liebighaus, und auch wenn das alles so unglaublich abgedroschen klingt, trifft es zu. Die Verbindungen sind unzählbar und dabei doch zwingend. Eines meiner Lieblingswerke läuft gleich im ersten Raum bei den Ägyptern: „Nubian Landscape“. Metronome geben scheinbar einen Rhythmus an, der den Betrachter sofort an hämmernde Steinmetze denken lässt, die Statuen anfertigen. Die Metronome sind aber nur auf den ersten Blick mit Tönen verbunden, nach und nach laufen sie los (Stillstand, Normalgeschwindigkiet und Zeitlupe streckenweise in einem Bild!) und geben Laute vor, die dann von Trommeln unmerklich übernommen und ausgesponnen werden. Ein virtuoses „so, als ob“.

In „Acquire“ wird dann hurtig „Gefundenes“ von der Wand und mit heim genommen (da können die Ägypter eh nicht drauf aufpassen!); der eine William steht dabei für den anderen Schmiere. Aber Vorsicht, William links mopst William rechts einige der Fundstücke und erkundet ihre eigentliche Bestimmung: Das kulturelle Erbe in Gestalt von Straßengeräuschen spricht aus den Fetzen, wenn man sie ans Ohr hält.  Zu hören sind das Surren einer Maschine, Gehupe, Musik.

Ich könnte jetzt die ganze Ausstellung nacherzählen, dabei mehrere Absätze dem römischen Raum widmen, aber in diesem Fall hilft wirklich nur: Selbst ansehen, sich anregen lassen, die Stimmungen der einzelnen Räume aufnehmen. Mich hat sehr beeindruckt, dass Kentridge mit einer persönlichen Handschrift arbeitet, die aber vielgestaltig und variabel ist und deshalb nie etwas wiederholt oder imitiert, was er schon gemacht hat. Man kann „lesen“, ohne dass Eindeutigkeit entsteht, es fühlt sich vertraut an, ohne eine Masche zu sein. Er ist ein ausgezeichneter Zeichner, aber er denkt in vielen Medien, im Film, in der Collage, im Teppich, in Apparaten und Skulpturen und natürlich in Räumen.

Noch mehr sprechende Dinge

gab es dann im Film „Sergio & Sergej“ zu sehen. Der lief im Rahmen der Lichter Filmfestspiele im Filmmuseum und hat uns beiden sehr gut gefallen. Als Fans von „Gravity“, „Oblivion“, „Interstellar“, aber auch „Alien“ und „Blade Runner“ (beide Verfilmungen!), „Solaris“ u.v.m. wollten wir gerne sehen, wie Regisseur Ernesto Daranas das Thema „Lost in space“ verarbeitet. Verloren waren die beiden Helden in ihren jeweiligen Ländern, Kuba und der zerbrechenden Sowjetunion. Mit Humor und kleinen Übertreibungen wurde man über die Erdenschwere der ganzen Systemkritik hinweggehoben, während Sergios Freund Ulysses kleine Schiffe baute für jene, die Kuba unter allen Umständen und Lebensgefahr über das Meer verlassen wollten. Die Kameraführung verband Himmel und Erde mit Leichtigkeit.

Sprache und Sprechen sind die Mittel, mit denen sich die Protagonisten gegenseitig am Leben erhalten – und die dafür nötige Technik ist im Himmel wie auf Erden anfällig und unzulänglich. Wichtig ist, dass man durchdringt – Paula wird das Stemmeisen zu Einsatz bringen, um ihren Protest gegen das kubanische Regime zu formulieren. Der Film trifft in vielerlei Hinsicht meinen Nerv, ist dabei liebevoll gemacht und ein ganz keines bisschen abgedreht.

Eingestimmt hatten wir uns vorher in der Ausstellung zu „2001 – Odysse im Weltall“. Der Film lief 1968, da war ich ein Jahr alt. Kaum zu fassen. Mit Konzeptzeichnungen, Storyboards, Kostümen, Modellen, technischen Erklärungen und einer wunderschönen Grafischen Paraphrase der Choreografie der filmischen Mittel im Foyer ist das wieder mal ganz großes Kino im Filmmuseum.

 

 

 

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