Die Museen sind schon lange wieder geöffnet, und mit den einschlägigen Sonderausstellungen beispielsweise zur klassischen Moderne lassen sich immer noch scharenweise Besucher:innen anlocken. Man könnte meinen, alles sei wie immer und damit in Ordnung. Oder?
Digitale Formate als Angebot zur Teilhabe
Corona hat mehr Spuren hinterlassen als nur einige Monate der Schließung und hastig oder auch souverän gestaltete Videorundgänge. Die Pandemie hat gezeigt, dass es möglich ist, Museen digital zu besuchen, dass es durch digitale Formate möglich ist, neues Publikum zu gewinnen, und dass zu wenige Museen in der Lage sind, mit dieser Erkenntnis produktiv umzugehen.
Der Blog MusErMeKu befasst sich seit 2014 mit allen Facetten des Digitalen im Museum
Weit davon entfernt, alle Entwicklungen und Diskurse zu überblicken, habe ich doch aus meiner beruflichen Erfahrung als Kunstvermittlerin und aus privater Erfahrung als Besucherin persönliche Einschätzungen und Vorlieben entwickelt. Die für mich wichtigste Erkenntnis dabei ist, dass digitale Angebote nicht nur mir, sondern vielen, ganz unterschiedlichen Menschen Teilhabe am kulturellen Leben ermöglichen. Dabei denke ich an Menschen, die nicht ins Museum gehen können, aber auch an solche, die nicht ins Museum gehen wollen.
Was digital geht
Eine interaktive digitale Veranstaltung kann einen persönlichen Museumsbesuch nicht ersetzen, und das ist auch nicht die Intention. Man begegnet Kunstwerken und Ausstellungssituationen einfach auf andere Weise. Podcasts, Videos und Beiträge in den sozialen Medien regen in unterschiedlicher Weise dazu an, sich mit Kunst zu befassen. Interaktive digitale Führungen, z. B. auf Calaios.eu ermöglichen es, inhaltliche Tiefe und Unterhaltung zu kombinieren. Sie bringen unsere Augen näher an die Werke, als uns das in der Realität möglich wäre, sie lenken unsere Blicke auch mal ohne anleitende Worte. Sie schaffen eine besondere Atmosphäre der Konzentration. Über das Für und Wider dieser Situation werde ich in einem der nächsten Posts berichten.
Wer ist gemeint?
Wer die „Aura des Originals“ als die wichtigste Motivation dafür sieht, ein Museum zu besuchen und von diesem Besuch auch zu profitieren, wird mit solchen digitalen Besuchen nichts anfangen können und wollen, und das ist sein gutes Recht. Aber es gibt Menschen, die sich von digital präsentierten Inhalten angesprochen fühlen. Und wenn man davon ausgeht, dass Museen in öffentlicher Trägerschaft den Auftrag haben, die Möglichkeit zur kulturellen Teilhabe für alle anzustreben, dann ist es die Pflicht der Museen, jede Art der Ansprache zu leisten.
Längst hat die Besucherforschung ermittelt, dass Menschen aus vielfältigen Gründen ins Museum kommen (und nicht kommen), und dass diese Menschen vielfältig sind, also nicht über Geschlecht und Alter, auch nicht über Bildungsgrad und Einkommen kategorisiert werden sollten, wenn man sich für ihr Verhalten und ihre Bedürfnisse interessiert.
Der Leitfaden des Deutschen Museumsbundes
erschien kurz vor der Pandemie, denn auch da war schon hinreichend bekannt, dass die deutschen Museen mehr und vielfältigere Besucher:innen brauchen.
Money talks
Im Kulturbetrieb sind wir es gewohnt, dass die Decke immer zu kurz ist: Ziehe ich hier, fehlt es dort, sprich: Es wird immer damit gedroht, eine Neuerung zu Lasten einer Gewohnheit einführen zu müssen, weil sonst das Geld nicht reicht. Dabei geht es immer um Personal, meistens in der Kunstvermittlung, oft auch im wissenschaftlichen Mittelbau. Sachgrundlos befristete Verträge, indiskutable Eingruppierungen oder Honorare und mangelnde Zeit und Struktur für Kommunikation innerhalb der Häuser verhindern Kontinuität in der Vermittlungsarbeit, ganz zu schweigen von Innovation. Viele Museen haben ungeheure Beharrungskräfte entwickelt.
Mit den Besucher:innen zu kommunizieren, bleibt oft Sache der Marketingabteilung. Doch die Schnittstelle zu den Besucher:innen sind die Kunstvermittler:innen, sowie das sichtbare Personal im Service und in der Aufsicht. Faire Arbeitsbedingungen für diese drei Gruppen von Mitarbeitenden, angemessene Bezahlung und das Einbinden ihrer Erfahrungen in Planungen wäre unbedingt zu wünschen. Außenkommunikation funktioniert über Inhalte, und wertvoller Inhalt, der Besucher wirklich interessiert, muss von Fachleuten generiert werden. Wenn es besuchergenerierter Inhalt ist, muss dieser moderiert und gemanagt werden.
Forderungen – mir fällt kein gemäßigtes Wort ein …
Ich bin wirklich gespannt, wie es weitergeht in der deutschen Museumswelt. Drei Dinge halte ich für unerlässlich:
Die Bedürfnisse der Besucher:innen müssen in den Mittelpunkt des Interesses aller am Museumsbetrieb Beteiligten rücken. Mit alle meine ich alle.
Digitale Besucher müssen in die Besucherstatistiken einfließen und damit Auswirkungen auf die finanzielle Förderung der Museen haben.
Die Kunstvermittlung muss wertgeschätzt, neu positioniert und im Museumsbetrieb verankert werden.
Du bist so wertschätzend, liebe Ellen, was ich an Deinen Analysen sehr mag!
Völlig richtig: „Die Bedürfnisse der Besucher:innen müssen in den Mittelpunkt des Interesses aller am Museumsbetrieb Beteiligten rücken. Mit alle meine ich alle.“
Liebe Evy,
vielen Dank für deinen Kommentar, ich schätze umgekehrt deine Anmerkungen!
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