Einige gängige Narrative schildern die Natur und unser Verhältnis zu ihr wie folgt:
Die Natur sei wild, grausam, ökonomisch, aber auch verschwenderisch, die Quelle allen Lebens, voller Gesetze, die vor allem Forschende verstehen, und mit Geld nicht zu bezahlen, aber trotzdem von Privatpersonen oder Nationen in Besitz zu nehmen.
Der Natur etwas abzuringen, sei eine Leistung von Pionier*innen und Landwirt*innen, auch Gärtner*innen. So müsse beispielsweise die Ernährung der Menschheit der Natur mit Tricks wie gentechnischer Veränderung abgetrotzt werden. Ah ja?
In seinem Buch „Hölderlin. Komm, ins Offene, Freund!“ (Fischer Verlag 2021) schreibt Rüdiger Safranski zum Begriff „Fortschrittsglaube“ (S. 294): „Wenn wir die Dinge und das Leben herunteranalysieren bis auf seine elementaren Bestandteile, dann werden wir, so dieser Glaube, das Betriebsgeheimnis der Natur entdecken. Wenn wir herausbringen, wie alles gemacht ist, sind wir imstande, es nachzumachen. Ein Bewusstsein ist hier am Werk, das allem auf die Schliche kommen will, auch der Natur, die man – im Experiment – auf frischer Tat ertappen muss, und der man, wenn man weiß, wie sie läuft, zeigt, wo es lang geht.“ Der Schritt vom Alchimisten zum Tech-Milliardär ist nur ein finanzieller, die Grundhaltung die gleiche: Wenn wir DAS Geheimnis (des Regenmachens, des ewigen Lebens, der Fortbewegung mit Lichtgeschwindigkeit, der Bindung von Co2 …) gelöst haben, sind wir die Herren der Welt.
Ich bin immer wieder erstaunt, dass die Ergebnisse der Wissenschaft, die meiner Auffassung nach nur aufdecken, wie viel wir nicht wissen und wie sehr wir uns überschätzen, zur Herausbildung gerade dieser Attitüde herangezogen werden.
„Die Natur“, diese unfassbare Allheit, ficht das nicht an. Sie ist. Es fällt mir manchmal schwer, das zu akzeptieren. Kein Geraune, keine Komplizenschaft, kein Wenn – Dann. Sie ist, und ich bin auch, in ihr, mit ihr, ihr gegenüber, ein Wesen der Natur.
Kunst und Natur … und Spiel
Wie vergegenwärtige ich mir das? Durch Kunst. Kunst, das Gegenüber zur Natur von jeher, wird ebenfalls in gängigen Narrativen beschrieben:
Sie sei frei, halte der Gesellschaft den Spiegel vor, sei eine edle Zeitverschwendung, wenigen kreativ Schaffenden, Rezipienten und Sammlern vorbehalten, die vermittels Kunst ihr Innerstes nach außen bringen, im Übrigen von undefinierbarem Wert, sieht man vom Preis ab.
Aha. Da gibt es Analogien … Und auch hier walten die Alchimisten und Milliardäre.
Doch uns allen, mir auch, ist es unbenommen, eigene Erfahrungen mit Kunst und Natur zu machen, und diese ergeben sich im Spiel. Das Spiel ist neben dem Naturerleben und dem Erschaffen die dritte zweckfreie, prozesshafte und augenblicksgebundene Komponente des Sich- als-Mensch-Erlebens. Das Gefühl des Mit-sich-Eins-Seins kennt jede und jeder – zu beschreiben ist es schwer, zu perpetuieren unmöglich. ABER: Anzubahnen ist es. Na dann mal los.
In den nächsten Blogposts werde ich einige Natur-Phänomene beschreiben, und warum ich sie so interessant finde: Verschwendung, Veränderung, Kreisläufe. Kleiner Spoiler: Unser sehr menschliches Maß der Zeit wird jeweils Teil der Geschichte sein. Und natürlich werden alle diese Phänomene im „Naturschauspiel“ eine Rolle spielen.