Schon lange wollte ich einen Text von Gisela Winterling verarbeiten, ihre Gedichte gefallen mir sehr. Nun gab es endlich die Gelegenheit, uns unter der Überschrift „Die Welt, die ich nicht sah“ Gedanken darüber zu machen, wie wir zwischen Gesagtem und Ungesagtem, Sichtbarem und Unsichtbarem Worte und Bilder finden könnten. Herausgekommen ist „Nachtpflaster“, ein Buch, welches auf viele Arten gelesen und geblättert werden kann. Wir haben es auch gleich auf der Mainzer Minipressenmesse vorgestellt und ein Konzept für eine Lesung entwickelt und ausprobiert.
Was man schwarz auf weiß besitzt
…, kann man getrost nach Hause tragen, fand Goethe. Die Zeiten sind gerade wenig für getrostes Tragen eingerichtet, Neugier und die Bereitschaft, alles zu hinterfragen sind angesagt. Giselas Text läuft assoziierend von Wortbild zu Wortbild und kristallisiert immer wieder am „nachtpflaster“. Das Pflaster ist greifbar, seine Steine heben sich, vom Regen glänzend, im Licht der Laternen hervor, getrennt von dunkleren Fugen. Schwarz auf Weiß hat hier seinen Platz und lässt die Buchstaben als „Steine“ plastisch hervortreten.
Im Gehen hängt man seinen Gedanken nach, vor dem inneren Auge erscheinen Bilder. Sie bleiben zart, sind nicht festzuhalten. Dem Braungrau des Papiers werden blaugrau schimmernde Motive gegenübergestellt, die je nach Licht auftauchen oder zurücktreten. An Giselas Auge lässt sich erahnen, wie weit die ursprünglichen Bildvorlagen vom gedruckten Ergebnis entfernt sind.
Um den höchst unterschiedlichen Fotos eine einheitliche Anmutung zu geben, habe ich alle Vorlagen beim Zeichnen in winzige Punkte zerlegt. Manchmal habe ich ein „Positiv“ hergestellt wie im rechten Bild: Die Schatten der Blätter vor dem Fenster erscheinen im dunkleren Papierton. Im linken Bild erscheinen die Olgas in Australien als „Negativ“: In der Realität stehen die Berge als schwarze Silhouette vor hellem Himmel; das wäre mir hier zu „eindeutig“ gewesen.
Als wir den Text für das Buch in einzelne „Strophen“ unterschiedlicher Länge zerlegten, bemerkten wir, dass die einzelnen Teile keine feste Reihenfolge haben müssen. Diese Strophen umkreisen verwandte Ideen und Eindrücke, die in uns Bilder aufrufen. Und so wollten wir es dem Leser ermöglichen, sich vom Text anregen zu lassen und ebenfalls so frei wie möglich zu assoziieren. Die Idee war geboren, den Text in zwei Buchblöcken nebeneinander her laufen zu lassen, so dass man eigenständig oder per Zufall Strophen und Bilder kombinieren kann.
Die gestalterischen Ideen entwickelten wir gemeinsam, angefangen bei den zwei Buchblöcken bis hin zum Druckbild und zur Farbe. Das Buch ist eine echte Gemeinschaftsarbeit: Treffen, Telefonate, Probedrucke, Dummies, Beratungen mit der findigen Buchbinderin Sabina Kerkhoff und schließlich: Das fertige Buch. Wie soll man denn daraus lesen? Auch das haben wir gemeinsam herausgefunden und dank zugewandter, aufgeschlossener Zuhörer ausprobieren können. Da fällt uns bestimmt noch mehr ein …